Schlappe für den Senat vor dem Verfassungsgerichtshof

  • Verfassungsgerichtshof weist Vorlage des Senats betreffend das Volksbegehren „Berlin Werbefrei“ als unzulässig zurück
  • Initiative überarbeitet Gesetzentwurf, ohne Ziele des Volksbegehrens abzuschwächen

Berlin, 23.11.2020 – Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin weist die Vorlage des Senats als unzulässig zurück, nach der das Volksbegehren „Berlin Werbefrei“ gegen höherrangiges Recht verstieße.

Nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes wäre der Senat angesichts der hohen Bedeutung der Volksgesetzgebung nach der Verfassung von Berlin verpflichtet gewesen, der Trägerin des Volksbegehrens eine Nachbesserung des AntiKommG (Antikommodifizierungsgesetz) zu ermöglichen. Diese Möglichkeit hätte vor der Vorlage an den Verfassungsgerichtshof eingeräumt werden müssen.

Damit widerspricht der Verfassungsgerichtshof der Rechtsauffassung des Berliner Senats, wonach eine Nachbesserung des Gesetzentwurfs der Initiative nicht möglich sei, da dieser gegen das sogenannte Koppelungsverbot bei Volksbegehren verstieße. Das Koppelungsverbot sieht vor, dass Regelungen ohne sachlichen Zusammenhang nicht in einem Volksbegehren zur gemeinsamen Abstimmung gestellt werden können. Der Senat hatte moniert, dass der Gesetzentwurf sowohl eine Beschränkung der Werbung im öffentlichen Raum als auch ein Verbot von Werbung in öffentlichen Einrichtungen wie Behörden, Kitas und Schulen vorsieht.

Aus Sicht des Verfassungsgerichtshofes kann den rechtlichen Bedenken des Senats, dass die vorgesehenen Beschränkungen von Werbeanlagen im öffentlichen Raum unverhältnismäßig in die Grundrechte von Grundstückseigentümern und Werbetreibenden eingreifen würden, mit einer Nachbesserung des Gesetzentwurfes begegnet werden.

Der Gesetzentwurf sieht neben einer deutlichen Reduzierung von Werbung im öffentlichen Raum insbesondere ein Verbot von digitalen Werbeanlagen vor. Digitale Werbeanlagen stellen nicht nur eine Gefahr für den Straßenverkehr dar, sondern haben einen enormen Energieverbrauch und sorgen für erhebliche Lichtverschmutzung. Eine digitale Werbeanlage im CLP-Format verbraucht jährlich in etwa 15.000 kWh. Dies entspricht dem Energieverbrauch von zehn Single-Haushalte. Hier können wir massiv Energie und Ressourcen einsparen und gewinnen ohne Wohstandsverzicht einen lebenswerten öffentlichen Raum.

Nach erfolgender erneuter Prüfung durch den Senat wird der Gesetzentwurf im Abgeordnetenhaus beraten. Nimmt das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf nicht an, kommt es zum Volksbegehren. Für ein erfolgreiches Volksbegehren muss Berlin Werbefrei ca. 200.000 Unterschriften in vier Monaten sammeln. Ist das Volksbegehren erfolgreich, kommt es schließlich zum Volksentscheid, mit dem die Berlinerinnen und Berliner über das Gesetzt abstimmen.

Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 18. November 2020

Vorlage des Senats an den Verfassungsgerichtshof

Stellungnahme Berlin Werbefrei an den Verfassungsgerichtshof

Pressefotos finden Sie auf unserer Presseseite unter
www.berlin-werbefrei.de/presse

Pressekontakt

Fadi El-Ghazi
0177 815 11 60

Volksbegehren „Berlin Werbefrei“ landet vor dem Verfassungsgericht

In seiner Sitzung vom 03. Dezember 2019 hat der Berliner Senat beschlossen, den Gesetzentwurf des Volksbegehrens „Berlin Werbefrei“ dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vorzulegen. Der Senat ist nach nun 16-monatiger Rechtsprüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass das „Gesetz zur Regulierung von Werbung in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Raum“ materiell-rechtlich unzulässig sei.

Der Verfassungsgerichtshof wird nun grundlegende Fragen der direkten Demokratie und der Grenzen der Eigentumsgarantie zu klären haben. Der grundrechtliche Schutz des Eigentums beinhaltet kein Recht, den öffentlichen Raum zur Dauerwerbesendung zu machen.“

Fadi El-Ghazi (Rechtsanwalt und Mitinitiator)

Inzwischen geht der Aufbau der digitalen Werbeinfrastruktur mit Unterstützung des Senats voran. Neben 1.000 digitalen Werbedisplays der Firma Wall auf öffentlichem Grund, werden derzeit Tram- und Bushaltestellen digital umgerüstet.

„Der Senat scheint kein Interesse an einer lebenswerten Stadt für die Einwohner zu haben, sondern ist zum Lobbyisten der Werbewirtschaft geworden. Zwar begrüße der Senat eine kritische Diskussion über zunehmende Werbung im öffentlichen Raum, richte seine Politik aber konsequent auf eine Vermarktung des Stadtraumes aus.“

Fadi El-Ghazi

„Ungeachtet der rechtlichen Fragestellungen sollte der Senat die Chancen einer grundlegenden Neuordnung der Außenwerbung sehen. Wir könnten enorme Ressourcen einsparen und dem Problem der Lichtverschmutzung effizient entgegenwirken. Allein die 1.000 digitalen Werbeanlagen der Firma Wall im öffentlichen Raum verbrauchen jährlich etwa so viel Energie wie 13.000 Durchschnittshaushalte. Dass der Senat trotz Klimanotlage keinen Handlungsbedarf sieht, ist verwunderlich.“

Sarah Mohs (Designerin und Mitinitiatorin)

Das Kapitel „Berlin Werbefrei“ ist damit nicht abgeschlossen. Im Falle eines Scheiterns vor dem Verfassungsgericht werden wir einen nachgebesserten Gesetzentwurf auf den Weg bringen.

Weiterführende Informationen:

Pressemitteilung Senat

Werbevertrag Wall (digitale Werbeanlagen im öffentlichen Raum)

Widerspruch gegen Werbeanlagen Mercedes-Platz eingereicht

Die Eigentümergemeinschaft Köpenicker Straße 8 hat bei der Bauaufsicht des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg einen Widerspruch gegen die Genehmigung von 21 Werbeanlagen mit einer Fläche von mehr als 500 qm digitaler Videodisplays auf dem Mercedes-Platz eingereicht. Vielen Bewohnern am gegenüberliegenden Spreeufer blinkt die Werbung direkt in die Wohnung.

Die durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erteilte Baugenehmigung ist wegen des Verstoßes gegen das Verbot der störenden Häufung von Werbeanlagen nach § 10 der Bauordnung von Berlin rechtswidrig.

Es ist nicht nachzuvollziehen, wie unter Umgehung geltenden Rechts der Bezirk die Baugenehmigung erteilt hat. Auf eine Einwohneranfrage hin distanzierte sich der Baustadtrat Florian Schmidt von seiner Verwaltung.

Wieder zeigt sich einmal, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Profitinteressen Privater über das Wohl der Bewohner stellt.

Werbetechnik auf dem Mercedes-Platz

  • 8 Werbetürme mit je 2 LED Screens a 10 qm
  • 2 LED Werbescreens a 88 qm an der UCI KINOWELT Fassade
  • 1 Über-Eck LED Werbescreen von 80 qm Größe an der Verti Music Hall
  • 1 LED Werbescreens a 70 qm an der Verti Music Hall Fassade
  • 1 LED Werbescreens a 15 qm an der Verti Music Hall Fassade

Mercedes Platz – Bisschen krass! – Anfrage bei der BVV Friedrichshain-Kreuzberg

Selbst der Bezirksstadtrat fragt sich, was der sogenannte Mercedes Platz soll und bezeichnet die übertriebene Ansammlung der Werbedisplays als „erschreckend“.
Überall grell leuchtende LED-Screens, Displays so groß wie 4-Raum-Wohnungen und durchgehend bespielte Medientürme. Werbung soweit das Auge reicht!
Zu Recht fühlen sich Friedrichshainer durch die gesetzlich unzulässige Werbeflut im öffentlichen Raum belästigt.
Der Unmut der Anwohner gab Berlin Werbefrei Anlass für eine Einwohner*innenanfrage. Wir fragten die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, wie sie zur bestehenden Problematik auf dem Mercedes Platz in Friedrichshain steht. Denn hierbei handelt es sich eindeutig um eine störende Häufung von Werbeanlagen, die schon nach jetziger Gesetzeslage unzulässig ist.
Der Bezirksstadtrat Florian Schmidt antwortete stellvertretend für die Verwaltung, für die es sich nicht um eine störende Häufung handelt. Scheinbar! Denn der Stadtrat betont in seiner Antwort, dass er selbst die Meinung der Verwaltung nicht teilt und kann diese offenkundig nicht unkommentiert lassen. Schmidt distanziert sich klar von der Entscheidung:
„Ich habe mir diese Anlage auch noch mal angeschaut, so wie sie entworfen ist, heute, und tatsächlich, wenn man sich das anschaut, das ist ein bisschen krass. […] Es ist wirklich ein bisschen erschreckend, wie dominant dort dann diese Displays im öffentlichen Raum sind. Ich muss sagen, ich bedaure auch, dass diese Entscheidungen hier auf der Fachebene […] so getroffen worden sind.“

32.456 gültige Unterschriften für Berlin Werbefrei

Nach dem amtlichen Ergebnis der Unterschriftenauszählung hat Berlin Werbefrei mit 32.456 gültigen Unterschriften die erste Etappe auf dem Weg zum Volksentscheid absolviert. Zur Einleitung eines Volksbegehrens sind 20.000 Unterschriften nötig. Nach der nun anstehenden Rechtsprüfung des Gesetzes wird es sodann im Abgeordnetenhaus beraten. Sollte das Gesetz nicht angenommen werden, kommt es zum eigentlichen Volksbegehren. Dabei müssen in einem Zeitraum von vier Monaten etwa 175.000 Unterschriften gesammelt werden. Wird dieses Ziel erreicht, kommt es dann zu Abstimmung durch die Berliner Bevölkerung.