Aktueller Stand (November 2024):
In seiner Sitzung vom 03. Dezember 2019 hatte der Berliner Senat beschlossen, das „Gesetz zur Regulierung von Werbung in öffentlichen Einrichtungen und im öffentlichen Raum“ wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vorzulegen.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin vom 18. November 2020 wurde die Vorlage des Senats als unzulässig zurückgewiesen und dem Senat aufgegeben, der Initiative die Nachbesserung des Gesetzentwurfes zu ermöglichen.
Seit dem 07. Mai 2021 wird der überarbeitete Gesetzentwurf von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport geprüft.
Die Stadt wird schöner – werbefrei
„Denn als wahres Massenmedium spannt sie ein Netz von mehreren hunderttausend Out of Home-Werbeträgern über ganz Deutschland. Auf Straßen und Plätzen der Städte, entlang der Autobahnen, an Bahnhöfen, Flughäfen sowie im Linien-, Nah- und Fernverkehr steht sie im permanenten Kontakt mit der Bevölkerung. Immer, überall, 24 Stunden an jedem Tag des Jahres, unausweichlich, unübersehbar.“ (Quelle: Fachverband Außenwerbung www.faw-ev.de)
Öffentliche Räume sind Orte der Begegnung und des kulturellen Austauschs sowie des sozialen Lebens und der Vielfalt. Die Gestaltung öffentlicher Räume wirkt sich unmittelbar auf ihre Funktion und damit auf die Aufenthaltsqualität im Stadtraum aus.
Werbung als Mittel des kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Austauschs ist ein Bestandteil des öffentlichen Raumes. Da Werbung jedoch Aufmerksamkeit erregen und möglichst einen nachhaltigen Werbeeffekt bewirken soll, müssen Werbeanlagen auffallen.
Die zunehmende optische Dominanz von Werbung im Stadtraum wirkt sich negativ auf das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild sowie die architektonische und städtebauliche Gestaltung aus. Die laufende Digitalisierung der Werbeanlagen wird das Problem weiter verschärfen. Die animierten und bewegten Inhalte solcher Anlagen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und erzeugen eine unerwünschte Unruhe im Stadtraum.
Durch die Änderung der Vorschriften für Werbeanlagen in der Bauordnung für Berlin (BauO) werden folgende Ziele verfolgt:
- Reduzierung der Anzahl von Werbeanlagen, insbesondere auf öffentlichem Straßengrund
- Umsetzung gestalterischer Vorgaben für Werbeanlagen zwecks stadtbildverträglicher Integration und Vermeidung von optischer Dominanz von Werbung im Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild
- Grundsätzliches Verbot von digitalen Werbeanlagen und Wechsellichtanlagen
Es werden sich neue Perspektiven auf unsere Stadt eröffnen. Der Blick wird frei auf Gebäude, Grünflächen oder einfach den Himmel über Berlin.
Unser Recht auf Stadt als kultureller Raum
„Diese Art der Kommunikation im öffentlichen Raum kann nicht überhört oder abgeschaltet werden. Verankern Sie Werbebotschaften im Kopf der Konsumenten. […] Die prominent platzierten Außenwerbeflächen sind ein Blickfang und werden von den Menschen immer wahrgenommen, bewusst oder unbewusst.“ (Quelle:www.crossvertise.com/aussenwerbung/aussenwerbung-trifft-jeden)
Die zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung des öffentlichen Raums stellen das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben als auch den Ort selbst, der eine gewisse kulturelle Vielfalt abbilden soll, vor große Herausforderungen. Die Anzahl an Außenwerbung, deren Größe, die Wahl der Standorte sowie die verwendeten Technologien wie digitale Werbeanlagen, machen Werbung allgegenwärtig und unausweichlich. Besonders aufdringlich sind bewegte Werbeinhalte digitaler Anlagen im öffentlichen Raum. Diese Technologie macht sich die Tatsache zunutze, dass jedes bewegte Bild an der Peripherie unseres Gesichtsfeldes automatisch unsere Aufmerksamkeit erregt und ein erhöhtes Maß an Wachsamkeit und Stress auslöst, wodurch die Speicherung der Botschaft gefördert wird.
Mit der Reduzierung von Werbeanlagen, den Gestaltungsvorgaben und des grundsätzlichen Verbots von digitalen Werbeanlagen wird die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum nachhaltig erhöht.
Umwelt und Klima
Beleuchtete, hinterleuchtete und digitale Werbeanlagen sind für einen Großteil der Lichtverschmutzung und die damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur verantwortlich. Die Folgen von künstlichem Licht am Abend und bei Nacht reichen von Schlafstörungen bis zu schwerwiegenden Stoffwechselerkrankungen.
Bei Insekten und Vögeln werden das Paarungs- und Wanderverhalten sowie die Nahrungssuche nachhaltig gestört, was schließlich zu einer Verminderung der Artenvielfalt führt.
Digitale Werbeanlagen wie Videomonitore und Mediaboards haben einen enormen Ressourcen- und Energieverbrauch. Eine beidseitig betriebene digitale Werbeanlage im CityLightPoster-Format (ca. 2 qm Werbefläche) hat bei einem durchgängigen Betrieb einen jährlichen Energieverbrauch von etwa 15.000 kWh. Dies entspricht dem jährlichen Verbrauch von etwa zehn Einpersonenhaushalten á 1.500 kWh oder plastisch ausgedrückt: Eine Werbeanlage verbraucht genauso viel Energie wie 100 Kühlschränke im Jahr.
Die fortschreitende Digitalisierung von Werbeanlagen hat somit nicht nur negative gestalterische Auswirkungen auf den öffentlichen Raum, sondern konterkariert überdies die Klimaschutzziele des Landes Berlin (§ 3 Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz).
Durch das grundsätzliche Verbot digitaler Werbeanlagen, sowie die Reduzierung von Werbeanlagen auf öffentlichem Grund und der damit einhergehenden Energieeinsparung wird die öffentliche Hand ihrer besonderen Verantwortung nach dem Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz gerecht.
Verkehrssicherheit
Werbeanlagen konkurrieren mit Verkehrsschildern und Ampeln um die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer. Nach einer Studie des Werbeunternehmens WallDecaux beträgt die Fixierungsdauer von Autofahrern bei analogen Werbeanlagen 1,85 Sekunden und bei digitalen Werbeanlagen 2,38 Sekunden. Bei einer innerstädtischen Geschwindigkeit von 50 Kilometer pro Stunde legt ein Fahrzeug in 2,38 Sekunden 33,05 Meter zurück.
Die Reduzierung von Werbeanlagen und das Verbot digitaler Anlagen sorgen für weniger Ablenkung der Verkehrsteilnehmer. Dadurch ist ein positiver Einfluss auf die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs zu erwarten.
Werbefrei, aber mit Ausnahmen
Die klassische Litfaßsäule, aber auch Werbeflächen an Wartehäuschen des öffentlichen Personenverkehrs können weiterhin für Werbung genutzt werden. Kultur, Sport und Soziales erhalten durch eine Vorgabe zur Flächennutzung der Werbeanlagen mehr Aufmerksamkeit.
Nach dem Gesetzentwurf sind unter anderem folgende Werbeanlagen zugelassen:
- Werbeanlagen an der Stätte der Leistung
- Werbeanlagen mit einer maximalen Höhe von fünf Metern über der Geländeoberfläche für wechselnde Inhalte im maximalen Plakatformat DIN A 0 an nicht hinterleuchteten oder bewegten
- Flächen an Haltestellen und Bahnhöfen des öffentlichen Personenverkehrs,
- Säulen (Allgemeinanschlag),
- Flächen an Bauzäunen, unter Brücken und in Tunneln,
- Flächen an öffentlichen Sanitäreinrichtungen,
- einzelnen Flächen mit einer maximalen Werbefläche von zehn Quadratmetern ausschließlich auf privatem Grund.Die Hälfte der jeweiligen Werbefläche einer der vorgenannten Werbeanlagen ist für Werbung für kulturelle, politische, sportliche und ähnliche Veranstaltungen zu nutzen.
- temporäre Werbeanlagen auf Veranstaltungen, insbesondere Kultur- und Sportveranstaltungen, sowie Messen, Schaustellungen und Feiern
- Werbeanlagen auf Sportanlagen, Versammlungsstätten und auf Ausstellungs- und Messegeländen, soweit sie nicht in die freie Landschaft wirken
Öffentliche Einrichtungen
Werbung und Sponsoring in Kitas, Schulen und Universitäten gefährden die Neutralität und Unabhängigkeit öffentlicher Bildungseinrichtungen. Die Grenzen zwischen wirtschaftlichen Interessen und Bildungsauftrag verschwimmen. Der Gesetzentwurf sieht daher ein Werbeverbot in Kitas, Schulen und Hochschulen vor. Sponsoring ist dann erlaubt, wenn eine Beeinflussung ausgeschlossen ist und der Grundsatz der Transparenz gewahrt wird.
News
Film: „Bäume statt Werbetafeln“
Grenoble hat 2014 als erste europäische Stadt neue Regeln für Werbung im öffentlichen Raum erlassen und diese drastisch eingeschränkt. Unser Doku-Team hat die Stadt besucht, den Bürgermeister interviewt und einen Film darüber gedreht.